Tenu und die Tak-Katze (Auszug)
Tenu ist wütend und das Wetter könnte kaum schöner sein. Unter dem leicht mit Wolken behangenen Himmel erstreckt sich das gewaltige Panorama der Grossen Berge
– er hasst seine Eltern!
Die Luft ist kalt. Atmet er zu stark ein, dann schmerzt ihm die Nase
– und seine doofen Geschwister! Immer heisst es: Nein, wir machen jetzt bla bla.
Atemwölkchen
– oder: Nein, dafür bist du noch zu klein bla bla.
Atemwölkchen
– Bla! Bla! Bla!
Atemwölkchen.
– seine Nase schmerzt. Tenu hat zu schnell eingeatmet.
– er hasst sie. Er hasst sie alle!
Missmutig stapft Tenu der Karawane hinterher. Sie ist ein Dutzend Tiere lang. Rinderziegen tragen das Gepäck von zwanzig Personen. Sie sind auf dem Rückweg nach Hause
– er macht jetzt einen Schneeball.
Der Erste Schnee war vor kurzem gefallen, ein Fest hatte es deswegen gegeben.
– wenn er erst einmal gross ist.
Tenu greift sich eine Handvoll. Energisch presst er den eiskalten Schnee zwischen seinen Händen und wirft ihn mit aller Wut. Seine Hände brennen, aber er ist zufrieden. Ein Schneefleck markiert
– er hasst seine Familie, sie hören nicht auf ihn. Ihm kommt eine Idee: Er braucht sie nicht. Er wird selbst zurückgehen!
Berührt der Erste Schnee den Talboden, erreicht der Winter das Tal. So sehen die Ueno das und sie empfangen ihn jedes Jahr mit einem grossen Fest. Das Volk lebt zu vor allem nomadisch in den Ausläufern der Grossen Berge und dort in vielen der Grossen Täler. In jedem dieser Täler finden sich die Ueno aus allen sieben Ecken zusammen und feiern ernst und fröhlich zu Ehren des Winters und der Berge. Während ihrer Zusammenkunft handeln sie und reden auch eine ganze Menge. Sie sprechen sich ab und beschliessen in einer Versammlung über die wichtigen Dinge des letzten und des kommenden Jahres.
Während den Feierlichkeiten opfert jede Familie der Tak-Katze. Sie wird von den Ueno als Bote oder auch als Herrin des Winters und der Berge verehrt. Das Tier verkörpert für die Ueno eine Fülle an bemerkenswerten Eigenschaften wie Scharfsinn und Weisheit, oder Geschicklichkeit und auch Schönheit.
An einem solchen Fest des Ersten Schnees hatte Tenu zusammen mit Angehörigen seiner Familie teilgenommen. Dieses Jahr war der Schnee widernatürlich früh gefallen, im Hochsommer und in einer Nacht mehr als zwei Handspannen viel. Sie hatten sich, wie die meisten Nomaden noch in den obersten Regionen aufgehalten, auf den höchstgelegenen Weiden. Eilig hatte man sich an den Abstieg gemacht und bestimmt, wer an dem Fest teilnehmen sollte.
Tenu und seine Geschwister durften mit, weil sie während des eiligen Abstiegs keine besondere Hilfe gewesen wären, ihr Vater passte auf sie auf. Auch kamen einige Cousins, Cousinen, Tanten und Onkel. Tenus Familie ist eine grosse Familie. Sie hatten an dem Fest teilgenommen und auch ihr Opfer dargebracht. Man hatte beschlossen, dass ihre Familie einige der Sesshaften mit in die tieferen Gebiete nehmen würde, um denen hier oben den Winter zu erleichtern. Sie sind aber bei Weitem nicht die Einzigen. Viele würden bald in tiefere Regionen aufbrechen. Das Fest ist noch nicht zu Ende, aber sie sind schon auf dem Rückweg. Es ist keine Zeit zu verlieren. Die Zeichen künden von einem schlimmen Winter.
Tenu zeigt für das Alles nur wenig Verständnis. Er mag zwar die neuen Leute sehr, aber er will nicht schon wieder zurück nach Hause. Das war das erste Mal, dass er mit an das Fest gekonnt hatte und es hatte ihm sehr gefallen. Seine Laune könnte nicht schlechter sein.
Tenu hat sich zurückfallen lassen und geht nun am Ende der Karawane. Eingepackt in dicke Fellkleidung ist unter der Kapuze nur sein kleines Gesicht zu sehen. Es blitzen misstrauisch zwei kleine dunkle Augen. Er schaut sich um und lässt sich noch ein Stückchen weiter zurückfallen. Er kneift die Augen zusammen
– niemand.
Tenu dreht um.
– er geht zurück. Entschlossen ist er. Er will nicht, er wird nicht nach Hause gehen!
Tenu geht ab vom Pfad, er will abkürzen.
– das geht schneller.
Tenu blickt grimmig. Der Schnee kommt ihm bis zu den Knien und es geht bergauf.
– die Leute am Fest werden Augen machen, Setu wird grosse Augen machen!
Grimmig zeigt er seine Zähne. Tenu ist auf dem Weg.