Am Eingang zur Nacht steht der Nachtwächter

Am Eingang zur Nacht steht der Nachtwächter. Ein Tagelöhner bittet um Einlass. Er ist bei seiner Nachtschicht eingeschlafen und träumt. Er würde gerne hinaus aus seiner kleinen Wachstube. Aber am Eingang zur Nacht steht der Nachtwächter. Er versperrt den Ausgang. Er beugt sich tief zum Tagelöhner hinunter, sein Gesicht erscheint in der Tür. „Du schläfst. Was willst Du?“, fragt der Nachtwächter. Der Tagelöhner antwortet, dass er gerne hinaustreten würde, aus seiner Wachstube, die ist so klein. „Das geht nicht“, antwortet der Nachtwächter. Wortlos setzt sich der Tagelöhner wieder in seinen Wachsessel vor das schwarze Fenster, in dem er sich spiegelt, und vor den Bildschirm mit den grauen Überwachungsaufnahmen. Dann steht er wieder auf und geht zur Tür. Er möchte jetzt hinaus, sagt der Tagelöhner dem Nachtwächter. Aber dieser antwortet nur mit denselben Worten: „Du schläfst. Was willst Du?“ und „Das geht nicht.“ Der Tagelöhner zeigt auf seine Zigarettenschachtel. Der Tagelöhner sagt ihm, er müsse auf die Toilette; er hätte etwas auf den Überwachungsaufnahmen gesehen, er habe das zu überprüfen. Was der Tagelöhner auch versucht, der Nachtwächter antwortet stets mit denselben Worten. Erneut setzt sich der Tagelöhner in seinen Wachsessel und wartet, er setzt sich hin und ruft aus: „Worauf denn! Worauf soll ich denn warten?!“ Wild geworden zappt er durch die Überwachungsaufnahmen der Nacht und starrt in die Nacht im Spiegel der Fensterscheibe. Die Dunkelheit hat sein Gesicht: den kurzabrasierten Schädel, die bleiche Haut, einen Stiernacken und kleine, dunkle Käferaugen. Die Dunkelheit bewegt seine Lippen stumm: worauf denn worauf soll ich denn warten Der Tagelöhner springt aus seinem Wachsessel und stürzt zum Ausgang, dort steht der Nachtwächter. «Ich will raus», fordert der Tagelöhner. Der gebeugte Nachtwächter beugt sich noch tiefer, bis sein Gesicht und das Gesicht des Tagelöhners sich fast berühren. Der Nachtwächter fragt ihn mit unterirdischer Stimme, und es schabt und es knackt und es klickert und es fiept: «Siehst Du, Tagwesen, im Dunkeln? Überschätzt Du, Tagwesen, Dich nicht? Wer bist Du, wenn Du nicht mehr sehen kannst? Wer bist Du, wenn Du Deine Hände vor Dunkel nicht mehr fühlen kannst? Hier draussen… Du hast das falsch verstanden: Ich bewache den Tag, die Nacht lässt sich nicht bewachen.» Wieder will der Tagelöhner zu seinem Wachsessel zurückkehren, aber nach zwei Schritten bleibt er stehen und öffnet den Kasten an der Wand, eine Sicherung nach der anderen kippt er, die Überwachungsaufnahmen auf dem Bildschirm, eine nach der anderen, werden schwarz, und dann wird es auch in der Wachstube grundfinster und der Tagelöhner wird von der Nacht verschluckt.