Die Eifersucht der Elena Wiegl

Mein Liebster, und Titiketa Vera haben sich gefunden, sie haben sich gefunden und verstehen sich immer besser.

Vor ihrer Bekanntschaft, seiner Bekanntschaft mit ihr, kannte er nicht mehr als seine eigenen vier Wände und ich war die Einzige, die ihn besuchte. Wir waren gute Freunde und wir verbrachten viel Zeit miteinander, ich war ihm ebenso treu und unscheinbar wie er mir. Gemeinsam starrten wir an die vier Wände, oft an die Decke und manchmal auch auf den Boden. Alle Flächen waren weiss. Wir verbrachten viel Zeit im Bett, dort lagen wir nebeneinander, dort lagen wir ausgestreckt, und mit langen Blicken blickten wir uns an, und schlossen wir auch die Augen, es machte keinen Unterschied. Wir hatten uns und kannten niemanden. Er redete von den Menschen und dachte an uns, er beschrieb sie als langweilig und wusste dabei um unsere Freundschaft, und wenn er dann sagte, ich wäre die Personifikation der Langeweile, und das sagte er von Zeit zu Zeit, denn Zeit hatte er genug, dann war das so vertretbar, und ich verstand es auch als Kompliment, ich hätte dasselbe über ihn sagen können. Wir waren gute Freunde. Ja, wir waren die besten Freunde, wir waren sozusagen eins. Aber das mit uns ist vorbei. Diese Langeweile, eine wunderbare Zeit, hat abrupt ein Ende gefunden.

Heute findet er kaum noch Zeit für mich, und dabei hat er so viel davon. Vor seiner neuen Bekanntschaft dachte er zuerst an nichts, und dann an mich. Heute denkt er hauptsächlich an seine Titiketa, dann an nichts, und erst dann an mich. Dabei weiss ich nicht, ob mich das treffen soll, wie ich darüber denken soll, ich nehme es deshalb schlicht zur Kenntnis. Was ich weiss, ist, dass ich ihn langweile und, da bin ich mir sicher, dass ich auch langweilig bin, aber das, das macht mir nichts, im Gegenteil, das macht aus mir doch erst die gute Freundin, die ich bin. Kein falsches Wort entgeht meinen Lippen, ich bin wahrheitsliebend und ich breche nie das Schweigen. Ich bin verständig und lasse ihn gelten, in ehrlicher Stille bin ich immer für ihn da.

bei meinem letzten Besuch, mein letzter Besuch, der ist gefühlt schon eine Ewigkeit her, bei diesem letzten Besuch hatte er mich gebeten, seine Einfälle zu notieren, und ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, von ihm mit seiner Begeisterung und der Lebhaftigkeit der von ihm diktierten Worte diszipliniert zu werden. Seiner Bitte bin ich, wie ich bin, treu und unscheinbar nachgekommen, und habe seither nichts mehr von ihm gehört.

Und jetzt… jetzt sitze ich da, allein. Und ich warte, und ich lese von seinen Abenteuern mit der Titiketa, die ich für ihn auf das Blatt notierte, mit welchem er mich urplötzlich wild fuchtelnd aus seinem Zimmer wegscheuchte, als wäre ein böser Geist in ihn gefahren, und es mir bannend hinterherwarf.

Und seine Worte schmerzen mich. Nicht weil sie von einer künstlerischen Qualität wären, die ihm solche Aufmerksamkeit bescheren, die ihn mir entreissen würde – er ist mir schon entrissen, und die Titiketa ist schuld – sondern weil er im Erdenken dieser von mir geschriebenen Zeilen diese heimtückischste Entdeckung aller Entdeckungen, die Entdeckung aller Entdeckungen macht; er entdeckt sie, die Titiketa Vera. Jetzt weiss er, wie es ist, ohne mich. Und jetzt braucht er, mit der Titiketa, niemanden mehr, und mich zu meiden. Jetzt ist er mich los.

Und zwar sitzt er, und liegt da, noch immer, wo wir uns trennten, zwischen denselben vier Wänden, den vier weissen Wänden, zwischen denen wir regungslos uns vereinten, aber ich bin nicht mehr da, und die Wände haben Farbe bekommen. Er würde sagen, die Wände sind nicht mehr dieselben, und es stimmt, denn die Titiketa Vera hat sie selbstsüchtig für sich vereinnahmt. Sie hat Türen an die Wände gemalt, und Luken in Boden und Decke geschlagen. Sie ist gewieft, und hinterhältig, und so ist sie sich sehr wohl bewusst, dass er die freie Luft nicht gerne riecht und das Sonnenlicht nur schlecht verträgt, und sie ist sich sehr wohl bewusst, dass Bewegung ihm nur Mühsal ist. Aber sie – verschlagen – zeigt ihm ihre Räumlichkeiten, und so kann er drinnen bleiben, und sie nimmt ihn an der Hand und verführt ihn zu kleinen Schritten. Händchenhaltend durchschreiten sie, die von ihr missgestalteten Wände, unsere weissen, von uns mit langen Blicken besehen und wieder besehenen weissen Wände. Bereits hat sie ihm den Kopf verdreht, und lockt ihn jetzt noch weiter weg von mir, und verwischt meine Spuren, fast bis zur Gänze.

Ich sehe es, er wird sich verlieren, denn ich bin nicht mehr da, und wo sie herkommt, führt keine Tür in denselben Raum, auch nicht dieselbe. Auf den nächsten Raum folgt der wiedernächste und immer nur der wiedernächste, bei ihr ist das Gesetz. Wenn sie bei ihm ist, dann ist sein Bett an die Decke genagelt, und er kann deshalb nicht schlafen, und treibt sich mit ihr herum, bis er vor Müdigkeit an die Decke fällt. Was sie ihm zeigt, das kennt er nicht, das versteht er nicht, aber das will er verstehen, und das hält ihn wach. Ich hingegen, ich erinnere mich, wie ich ihn abends friedvoll in seinen langersehnten, tiefen Schlaf wiegte. Sie jetzt aber schüttelt ihn bloss, und wenn er heute seinen Schlaf schlafen kann, dann nur einen leichten von Träumen durchzogenen. Ja, seit er sie kennt, kann er gar nicht mehr anders, als inständig zu entdecken, und längst hat er sich diese schändlichste aller Entdeckungen zur falschen Tugend gemacht. Er sucht und hört erst auf zu suchen, wenn er gefunden hat, was er gar nicht suchte, und wovon er gar nicht wusste, dass er es suchte. Ja, die Titiketa ist kompliziert. Mit ihr sieht und erkennt er, und stellt auf den Kopf, was Füsse hat, und bewegt, was steht, und lässt dann wichtigtuerisch verlauten, er liesse stehen, was sich bewegt. Mit ihr ist er einfältig geworden, und er bemerkt plötzlich die unzähligen Variationen des immer Gleichen, und glaubt sich und die Welt ganz anders. Dabei ist es die Titiketa Vera, die ihm einen Streich spielt. Denn die Welt war immer dieselbe und daran ändert auch die Titiketa nichts.

Ja, sie hat mich verdrängt und wird dafür sorgen, dass er die Zeit und die Erfahrung der Zeit, das einzig Wirkliche, vergessen und verlernen wird, und böse wird es enden.

Noch schenkt Titiketa Vera ihm alle Aufmerksamkeit, aber sie ist launisch wie ein Kind, und grausam. Sie wird ihn viel kosten, viele Mühen, die kann er sich gar noch nicht vorstellen, die kennt er nicht von mir, wenn er dann nämlich bei ihr bleiben will – und Tränen wird sie ihn kosten. Sie ist ihrem Wesen nach untreu. Sie wird ihm Liebe versprechen, und sie ihm enthalten. Sie wird ihn beglücken, nur um ihn ins Unglück zu stürzen. „Diese Schlampe spielt mit dir, du bist ihr Hündchen, eines, das von ihrer Willkür getreten werden will, du hechelst ihr die Treue und purzelst dackelnd, dumm im Zickzack hin und her, ein Stück Holz ist deine Trophäe, für ein Tatsch auf das Köpfchen, für ein anerkennendes Lob der eigentlichen Verachtung hinter vorgehaltener Hand!“

Ja... Das sagte ich ihm, ich stand vor verschlossener Tür, und stehe noch immer, der einzigen Tür, die ihm verschlossen ist, meiner.

Ich besitze zwar die Ewigkeit, aber Zeit kann ihm nicht helfen, Zeit kann ich ihm nicht schenken, er müsste es ja zulassen, er müsste mich zu sich lassen. Es bleibt mir deshalb nur noch ein letztes, und das tue ich von tiefsten Herzen. Ich wünsche ihm Schiffbruch, dass er aufs Grausamste scheitert und sich von der Entdeckerei zurückzieht, und aufhört sich zu verleugnen. Er sollte zurückkehren zu seiner Langeweile, bei mir kann er sich treu bleiben, er sollte zu sich zurückfinden. Er sollte zurückkehren, weil ich ihn nie verführen werde, weil ich nicht mit ihm spiele, aber weil ich da bin für ihn, für immer und für ewig. Ich will ihn zurück und ich will zurück was wir hatten, und ich will nicht mehr reden. Ich will ihn umarmen in fürsorglicher Gleichgültigkeit.