Silent Reading Poller Party
An einer Silent Reading Party kommen Menschen zusammen, um gemeinsam still zu lesen, alle für sich allein, alle mit ihrer je eigenen Lektüre. Danach besteht die Möglichkeit, sich über das Gelesene oder Nicht-Gelesene auszutauschen, oder auch einfach wieder zu gehen.
Auch an einer Silent Reading Poller Party kommen Menschen zusammen, um gemeinsam still zu lesen, alle für sich, alle mit ihrer je eigenen Lektüre... Der Unterschied – oder: die Variation – liegt darin, dass das kollektive Lese-Event mit der Absicht in den öffentlichen Raum hinausgetragen wird, den Stadtraum lesend zu erfahren (fragend) oder auch lesend einzunehmen (fordernd). Mit dem Buch in der Hand wird die Wahrnehmung des Stadtraums verfremdet und auch auf bestimmte Bedürfnisse hin geprüft. Es ist wahrscheinlich, dass es an Sitzgelegenheiten fehlt. Starker (störender?) Verkehr ist möglich. Eine Silent Reading Poller Party wirft Fragen auf, bezüglich unseres eingeübten Leseverhaltens, bezüglich der Gestaltung des öffentlichen Raumes. Zum Beispiel: Wie lesen wir? An welchen Orten lesen wir gerne? Was für Leseorte gibt es in der Stadt? Mit welchen anderen öffentlichen Nutzungen kommt das Lesen in Konflikt und mit welchen lässt es sich gut vereinen? In was für einer Stadt wollen wir leben?
Eine Anleitung
1. Einen der vielen vom Automob in der Stadt andauernd wieder umgefahrenen Poller sicherstellen.
2. Menschen finden, die sich zum Stadtraum und zum Lesen bekennen.
3. An einen oder auch an mehrere Orte nacheinander gehen, den Poller aufstellen, ggf. für Sitzmöglichkeiten sorgen, Verpflegung etc.
4. Gemeinsam still lesen.
Eine Silent Reading Poller Party kann der Idee nach auch ohne Poller veranstaltet werden. Wer im öffentlichen Raum liest, wird zum lebenden Poller (Sperrelement) und steht oder sitzt ggf. tatsächlich im Weg.
Die Geschichte des Pollers vom St. Alban-Eck
Da stand einmal ein Poller am St. Alban-Eck, der wurde innert sechs Monaten sechsmal umgefahren. Gegenüber war eine Bibliothek, die nahm ihn bei sich auf und gab ihm einen Fensterplatz. Der Poller schaute von da an auf die Kreuzung, die er ehemals mit seinen zwei Poller-Kollegen gestanden hatte, und machte sich Gedanken. Er machte sich Gedanken über sein Los, über die vorliegende Verkehrssituation und allgemeiner über die Spaziergangswissenschaft, denn dieser Wissenschaft war die Bibliothek gewidmet.
Verlegen angesichts der Vorstellung, den Poller ein siebtes Mal aufzurichten – vielleicht auch in stiller Anerkennung seines Verschwindens –, platzierten die Baudepartementalen an seiner Stelle eine grobe Tonne. Sie war aus Stahl und Beton und gab, hier in der Altstadt, ein seltsames Bild. «Erfrischend» meinten einige, andere wiederum fanden «hässlich». Interessant war, dass sich die Tonne schnell als eine willkommene Sitzgelegenheit erwies in einer Strasse, der es an solchen ermangelte. Dem mittlerweile belesenen Poller in der Bibliothek fiel das auf und er begann sich zu fragen: Wieso hatten die Menschen ihm die Form gegeben, die er hatte? – denn er war aus hellgrauem Kalkstein, sorgfältig zur altstädtischen Maserung gebracht, aber anfällig gegenüber sämtlicher Karosserie und völlig ungeeignet, um selbst den kleinsten Gegenstand nur für einen Moment aus der Hand zu geben, uf ihm liess sich nichts abstellen, sitzen undenkbar. War denn die St. Alban-Vorstadt nur für den Durchgangsverkehr gedacht? eine Schnellstrasse für die einheimischen Blindgänger und für die weitweltbereisten Postkartenjäger mit ihrem routinierten «Foto-und-Weiter»?
Zur Beantwortung seiner vielen Fragen und mit Hilfe der Bibliothek lud der Poller zwei Poller-Forscher aus Berlin ein, damit diese in einem öffentlichen Vortrag über ihre Erkenntnisse berichten konnten. Zum stillen Auftakt diente eine Silent Reading Party, das heisst, eine Silent Reading Poller Party als erste ihrer Art. Gemeinsam nahmen die Gäste die in Momenten vielbefahrene und oft auch verwaiste Kreuzung für eine Stunde lesend ein.
Seitdem sind Silent Reading Poller Parties denkbar und werden in unregelmässigen Abständen veranstaltet. Die Tonne wurde von den Baudepartementalen nach einem knappen Jahr leider wieder eingetonnt. Der Poller vom St. Alban-Eck studiert weiter Spaziergangswissenschaft und ist mobil geworden. Er begleitet die Leseparties, wo er nur kann.
Poller. Versuch einer Definition
Ein Poller ist ein Objekt, das als Sperrelement zur Regulierung, Sicherung und Gewährleistung des Verkehrs, sowie allgemeiner zur Durchsetzung bestimmter Raumansprüche gegenüber anderen im von Dichtestress geprägten Stadtraum eingesetzt wird.
